Mehr Soldaten, mehr Geld und schon bald Kampfflugzeuge: Der Ständerat sorgte für Kopfschütteln. Doch hinter dem Entscheid steckt eine Strategie: Stände- und Nationalrat wollen den Bundesrat schachmatt setzen.
Die Resolution blieb völlig unbemerkt. Am Freitag, dem 27. Mai, nur drei Tage vor Beginn der Sommersession, beschloss die Regierungskonferenz «Militär, Zivilschutz, Feuerwehr», dass sie den Vorschlag der sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Ständerats unterstützt: 100 000 Soldaten für die Armee, 5,1 Milliarden Franken Budget, 1,2 zusätzliche Milliarden für die Behebung von Mängeln bei der Ausrüstung – und neue Kampfflugzeuge vor 2015 für maximal 5 Milliarden. Der Ständerat stimmte am Mittwoch, dem 1. Juni, allen Vorschlägen zu.
Das kam einer Rebellion gleich. Mit ihren Entscheiden begab sich die Ständekammer in totalen Widerspruch zum Gesamtbundesrat. Dieser hatte vor zwei Jahren die Eckwerte bei 80 000 Soldaten und 4,4 Milliarden Franken festgelegt.
Auf den ersten Blick wirkte der Entscheid des Ständerats wie ein massloser und unmotivierter Geldsegen für die Armee. Er sorgte für Kopfschütteln. Doch er hat System und wurde hinter den Kulissen sorgfältig vorbereitet. Vor allem: Der Ständerats-Entscheid ist nur der erste Schritt in einem grösseren Plan.
Dieser sieht vor, dass auch der Nationalrat mitzieht. Bereits morgen und am Dienstag sprechen Verteidigungsminister Ueli Maurer und Armeechef André Blattmann vor der SiK des Nationalrats zum Armeebericht. Entscheiden wird die Kommission im August. Dann kommt das Geschäft vor die grosse Kammer. Schon heute ist klar: Der Nationalrat wird drei Pfeiler des Ständerats-Beschlusses absegnen: 100 000 Soldaten, 5 oder 5,1 Milliarden Budget – und 1,2 Milliarden für die Behebung von Ausrüstungsmängeln. Auf diesen Konsens haben sich die bürgerlichen Parteien SVP, FDP und Teile von BDP und CVP geeinigt, wie «Sonntag»-Recherchen zeigen.
Läuft alles wie geplant ab, schafft Ueli Maurer seinen ganz grossen Coup: National- und Ständerat winken seine Anliegen durch – und die Gesamtregierung hat das Nachsehen. Mit dem Beschluss beider Kammern wird sie ausgehebelt. Das ist das Ziel der Übung, wie Ständerat Bruno Frick offen bestätigt: «Der Entscheid des Parlaments steht über jenem des Bundesrats. Wir haben dieses Vorgehen bewusst gewählt.»
Es waren die bürgerlichen Sicherheitspolitiker von SVP, FDP und CVP, welche diese Revolution in geheimen Gesprächen seit Wochen vorantrieben. Sie fanden in unterschiedlicher Zusammensetzung statt, aber immer ohne Sozialdemokraten. Fast wie zur Zeit des Kalten Krieges, als sich die bürgerlichen Sicherheitspolitiker vor jeder Kommissionssitzung absprachen – ohne SP.
Bilaterale Gespräche fanden aber auch zwischen Ueli Maurer und Sicherheitspolitikern statt. Und seit Monaten lobbyierten die Kantone hinter den Kulissen gegen den Bundesrats-Beschluss. Sie fürchteten bei einem Armee-Abbau massive finanzielle Konsequenzen auf drei Ebenen: erstens einen Abbau von Infrastrukturen und Jobs in Randregionen. Zweitens weniger subsidiäre Armee-Einsätze in Notsituationen, aber auch bei grossen Sportanlässen. Die Kantone befürchteten gar, sie müssten künftig subsidiäre Einsätze selbst berappen.
Und drittens war den Kantonen klar, dass sie bei einem Abbau nicht darum herumkommen würden, die Mittel für die fehlenden 1500 Polizisten zu sprechen. Eine teure Angelegenheit. Der Tessiner Staatsrat Norman Gobbi (Lega) bestätigt diese Überlegung indirekt: «In den meisten Kantonen sind die Militärdirektoren gleichzeitig Polizeidirektoren und wissen sehr genau, was 1500 zusätzliche Polizisten kosten würden.» Wichtig sei eine starke Armee zudem vor allem für die Bergkantone. Gobbi: «Sie haben im Notfall keine Reserven.»
Zweimal war Maurer mit seinen Vorstellungen im Bundesrat aufgelaufen. Danach änderte er die Strategie. Er setzte verstärkt auf Kantone, Parlament und Bevölkerung. Bei den Kantonen stiess er auf Verständnis. Der Beweis: Der Ständerat, die Kammer der Kantone, zündete das Armee-Finanz-Feuerwerk.
«Ueli Maurer ist darauf spezialisiert, über listige Manöver zu gewinnen», sagt SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer. Der Verteidigungsminister sei an ausserordentlich vielen öffentlichen Veranstaltungen aufgetreten. «Er scharte eine eigentliche Fangemeinde um sich», sagt Schlüer. «Er mobilisierte damit die Basis gegen den Bundesrat.» Mit den Kantonen habe Maurer über den Sicherheitsverbund enge Kontakte gepflegt.
Überrumpelt wurde die SP. In aller Eile legte sie sich nun eine Strategie zurecht für die SiK-Sitzung von morgen Montag und Dienstag. Beide Bundesrats-Eckwerte – Zahl der Soldaten und Budget – würden «aufs Gröbste überschritten», kritisiert SP-Nationalrat Max Chopard. «Die Armee ist zu gross und kostet zwei Milliarden mehr.»
Die SP wird morgen in der SiK zwei Ordnungsanträge einbringen. «Erstens muss die finanzpolitische Situation von der Finanzdelegation mit einem Mitbericht sauber geklärt werden», sagt Chopard. «Und zweitens fordert die SP, dass der Gesamt-Bundesrat die total neue Situation neu diskutieren muss, bevor der Nationalrat beschliesst. Der Nationalrat darf zuvor keine Beschlüsse fassen.»
Zudem will die SP die Zusatzfinanzierung streichen lassen. Dass die Kantone die fehlenden 1500 Polizisten über eine grössere Armee kompensieren wollen, stösst Chopard sauer auf. «Da sträuben sich mir die Nackenhaare. Da zeigt sich eine Tendenz zum Missbrauch.» Die Armee dürfe Zivilbehörden nur bei schwerwiegenden Bedrohungen unterstützen.
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