Da NZZ.ch l Nach den Terror-Anschlägen in Nizza und Würzburg stellt sich auch in der Schweiz dieselbe Frage: Wie sollen Polizisten geschult werden? Die einzelnen Landesteile scheinen hier nicht das gleiche Tempo anzuschlagen.
Die Anschläge von Nizza und Würzburg haben eines gezeigt: Es besteht die Gefahr, dass sich islamistisch orientierte Personen selber rasch radikalisieren und als Einzeltäter einen Amoklauf starten. Es sei in den nächsten Jahren mit weiteren solchen Anschlägen zu rechnen, sagt Beat Villiger, Zuger Regierungsrat und Vizepräsident der Konferenz der kantonalen Polizei- und Justizdirektoren (KKJPD). Es scheine, als ob Einzeltäter häufiger auf sogenannte weiche Ziele losgehen, aber der IS oder andere Terrororganisationen die leider geglückte Tat für sich einfordern. Laut Villiger gehen Experten davon aus, dass der IS aufgrund der Verluste in seinem angestammten Gebiet vermehrt auf terroristische Aktionen im Westen setzt.
Angesichts dieser neuen Gefahr müsse die Schweiz ihre Sicherheitskräfte besser schulen, erklärte der Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet gegenüber der «Schweiz am Sonntag». Er fordert eine spezifische Anti-Terror-Ausbildung für alle Polizisten: Jeder Beamte müsse einen Amokläufer sofort ausschalten können. Gemäss Maudet haben die Genfer Behörden, für welche das vom Terror versehrte Frankreich besonders nahe liegt, ihre Einsatzdoktrin bereits entsprechend überarbeitet. Jedoch sollte man auch die Grundausbildung sofort anpassen, wie es auch im Wallis und der Waadt der Fall ist.
Mindestens heutigen Standard halten
Man analysiere laufend und passe die Polizeiausbildung entsprechend an, so Villiger. Dies geschehe selbstverständlich auch aufgrund der Erkenntnisse nach Vorkommnissen wie in Nizza oder Paris. Allerdings stelle sich die Problematik nicht in allen Kantonen gleich. Laut Villigers Worten hat der Bund für Nachrichtendienst und Staatsschutz mehr Personal bewilligt; davon profitieren auch die Kantone.
Der Zuger Sicherheitsdirektor sieht momentan keinen Anlass zu überstürztem Handeln, jedoch müsse das landesweite Sicherheitsdispositiv mindestens den heutigen Standard halten können. Zudem sollte ein Plan B vorhanden sein, falls der Terrorismus auch die Schweiz erreicht. Bisher gebe es keine konkreten Hinweise auf eine direkte Bedrohung für die Schweiz, so Villiger. Theoretisch würden Anschläge mit geringem logistischen Aufwand die wahrscheinlichste Bedrohung darstellen. Es kämen jihadistisch inspirierte Einzeltäter oder Kleingruppen in Frage, die aber auch militärisch ausgebildet sein könnten.
Auch soziale Prävention betreiben
Aus Villigers Sicht funktioniert die Zusammenarbeit von Nachrichtendienst und Kantonen gut, ebenso der Datenaustausch gerade mit Frankreich. Wichtig ist für den Vizepräsidenten der KKJPD, dass zugunsten einer wirkungsvollen Terrorbekämpfung diverse Gesetzgebungen angepasst werden, wie zum Beispiel das zur Abstimmung gelangende Nachrichtendienst-Gesetz. «Dem Datenschutz wurde in den letzten Jahren zu viel geopfert. Dieser hat zurückzustehen, wenn die öffentliche Sicherheit Priorität hat», sagt Villiger.
Er fordert hierbei nicht nur die konsequente Ausweisung von Ausländern, welche die öffentliche Sicherheit gefährden, sondern auch präventive Massnahmen. Weil die jüngsten Anschläge von sogenannten Outsidern begangen wurden, sind beispielsweise auch die Sozialbehörden der einzelnen Gemeinden gefordert. Die KKJPD erarbeitet gegenwärtig zusammen mit verschiedenen Organisationen entsprechende Präventionsmassnahmen.
Und wie steht es um das Sicherheitsdispositiv in der italienischen Schweiz? Dort gilt nämlich seit Anfang Monat das Burka-Verbot. Die kantonalen Behörden passten sich laufend der Situation an, sagt der Tessiner Polizei- und Justizdirektor Norman Gobbi. Hierbei sei die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte auf allen Ebenen von fundamentaler Bedeutung. Im Besonderen würden die Beamten seit einiger Zeit darin geschult, Situationen mit Amokläufern zu bewältigen. Aus Gobbis Sicht besteht im Tessin ein höheres Risiko terroristischer Aktionen als in anderen Kantonen, weil in der nahen Lombardei sehr viele Menschen mit arabischem Migrationshintergrund leben.
Wölfe im Schafspelz
Gobbi erinnert in diesem Zusammenhang an die Verhaftung des IS-Sympathisanten Abderrahim Moutaharrik in Italien. Diese wurde dank Hinweisen seitens der Tessiner Kantonspolizei möglich – ein deutliches Zeichen dafür, dass man wachsam sei und dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden vorerst funktioniere. Und was ist mit dem Burka-Verbot? Es gebe keine konkreten Hinweise auf direkte Bedrohungen, so Gobbi. Im Gegenteil wiesen die Informationskampagnen über das Verhüllungsverbot seitens der Botschaften einiger arabischer Staaten darauf hin, dass eine zumindest teilweise Akzeptanz bestehe. Im Hinblick auf das nahende Filmfestival in Locarno, einem internationalen Grossanlass, hat der Tessiner Polizeidirektor aber das Sicherheitsdispositiv angepasst. Der islamistische Terror setze Wölfe im Schafspelz ein – dies sei die schlimmste Gefahr für alle im Westen, urteilt Gobbi.
Twitter: @peterjankovsky