Da NZZ.CH l Das Tessin hat die Bedingungen für Aufenthaltsbewilligungen verschärft. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ringt um einen Kompromiss, um das neue Grenzgängerabkommen mit Italien nicht zu gefährden.
Spätestens seit dem überdeutlichen Tessiner Ja zur Einwanderungsinitiative kommt Bundesbern nicht zur Ruhe. Der Südkanton prescht unermüdlich mit Forderungen und Massnahmen vor, um auf seine spezifischen Probleme mit den italienischen Grenzgängern, dem daraus folgenden Lohndumping und dem schikanösen Verhalten Italiens aufmerksam zu machen. Im April griff Lega-Staatsrat Norman Gobbi zu einem massiven Druckmittel : Alle Ausländer, die im Tessin eine Aufenthaltsbewilligung B oder G wollen, müssen einen Auszug aus dem Strafregister ihres Landes samt Beleg über laufende Verfahren vorlegen. Der freie Personenverkehr werde punkto Arbeitsmarkt und Sicherheit missbraucht, so begründete der Chef des Tessiner Justiz- und Polizeidepartements seine Massnahme. Diese trifft vor allem die 62 600 italienischen Grenzgänger: Rom ist erbost und kündigte an, bei der EU-Kommission ein Verfahren gegen die Schweiz anzustrengen.
Für Bern kommt das äusserst ungelegen. An das Ende Februar unterzeichnete und vom nationalen Parlament noch gutzuheissende Doppelbesteuerungsabkommen ist eine neue, strengere Besteuerung der italienischen Grenzgänger gekoppelt, von welcher auch Italien mehr profitieren soll. Diese will Bern bis Ende September in den konkreten Details unter Dach und Fach bringen. Das Tessin grollt aber Rom , dass es statt der verlangten 80 Steuerprozente nur maximal 70 akzeptiert.
Wichtige Ziele erschwert
Diese Verhandlungen könnten sich nun massiv verzögern. Weil Staatsrat Gobbi auf seiner Massnahme beharrt und seine Regierungskollegen sie dulden, sah sich Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf wohl zu einem Überzeugungs-Besuch in Bellinzona genötigt. Gobbis Massnahme widerspreche den Verträgen der Schweiz mit der EU und schaffe Zeitprobleme bei den Verhandlungen mit Rom, erklärte die Chefin des Eidgenössischen Finanzdepartements am Montagabend. Wegen besagter Massnahme würden wichtige Ziele wie die Gleichbehandlung der Schweiz im EU-Umfeld oder die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative erschwert.
Im Oktober weiss man mehr
Daher muss die Magistratin die Tessiner Regierung und vor allem Gobbi zu einem Kompromiss bewegen. Dieser lobte zwar die gute Zusammenarbeit mit Bern und bezog sich auf die Bereiche Sport, Sicherheit, Grenzschutz und Strassenbau. Dann aber wies er darauf hin, dass über andere «offene» Punkte mit Bern weiterdiskutiert werden müsse. Auf Anfrage meinte er lachend, die Massnahme mit dem Strafregisterauszug «sine die» aufrechtzuerhalten, um sofort zu präzisieren: Vorerst bleibe sie in Kraft, weil sie gerechtfertigt sei. Im Oktober ziehe er Bilanz und sehe weiter.
Bundesrätin Widmer-Schlumpf muss also südlichen Unmut besänftigen. Den im eigenen Land und jenen Italiens. Und der Tessiner Regierungspräsident Gobbi hat wohl auch die nationalen Wahlen vom 18. Oktober im Blick. Denn die Lega will ihre zwei Nationalratssitze halten und einen im Stöckli dazugewinnen.
von Peter Jankowsky. Bild: Eveline Widmer-Schlumpf an der Medienkonferenz mit den Staatsräten Norman Gobbi (Mitte) und Christian Vitta. (Bild: Carlo Reguzzi / Keystone)