Da NZZ.CH l 500-Jahr-Jubiläum der Schlacht. Was bedeutet die Schlacht von Marignano heute? Die Gedenkfeier bei Mailand hat klargemacht: Für Italien ist sie der Beginn der Schweizer Neutralität – die eidgenössische Sichtweise bleibt komplexer.
Zunächst sah es am Sonntagmittag schlecht aus: Lombardischer Dauerregen drohte die Marignano-Gedenkfeier in der Gemeinde San Giuliano Milanese ins Wasser fallen zu lassen. Dann plötzlich zeigte sich die südliche Sonne. So konnte Bürgermeister Alessandro Lorenzano mit entsprechender Serenität die 500 Jahre zurückliegende Schlacht von Marignano, die eigentlich auf dem Gemeindegebiet San Giulianos stattfand und bei welcher die Eidgenossen von Frankreich vernichtend geschlagen wurden, als Beginn der Schweizer Neutralität bezeichnen. In Lorenzanos Augen stellt Marignano auch ein Memento für den Frieden dar. Dieser werde gerade in Italien als wertvolles Gut erachtet.
Der Ursprung der Schweizer Neutralität liege nicht auf dem Schlachtfeld von Marignano, erklärte hingegen Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Bestenfalls habe hier die Erfolgsgeschichte der neutralen Schweiz einen ersten Anfang genommen. Weil kurz nach Marignano die Reformation in Gang gekommen sei und für innereidgenössische Konflikte gesorgt habe, wurden nach Sommarugas Ansicht weitläufige Eroberungszüge im Ausland unmöglich. Das habe mit Neutralität kaum etwas zu tun, sagte die Bundespräsidentin weiter und führte eine an C. G. Jung erinnernde Überlegung ins Feld: Die Schlacht sei zum Mythos geworden, der zu Reflexionen über die eigene Identität anrege. Die Erinnerung an Marignano solle Diskussionen darüber anstossen, wie die Schweiz ihre Neutralitätspolitik im 21. Jahrhundert zu gestalten habe.
Damit ging die Bundespräsidentin implizit auf Distanz zu ihrem Regierungskollegen Ueli Maurer. Dieser hatte 2007 noch als Präsident der SVP erklärt, nach Marignano habe man freiwillig die Neutralität als aussenpolitische Maxime gewählt. Dies ist insofern von Belang, als laut einem SVP-Exponenten ursprünglich Bundesrat Maurer als Festredner an der Marignano-Feier hätte auftreten sollen – doch die Landesregierung habe dies zu verhindern gewusst.
Von eigentlichen Neutralitätsbestrebungen könne man erst in späteren Jahrhunderten sprechen, betonte der dritte Festredner, der Direktor der Bibliothek am Guisanplatz in Bern, Jürg Stüssi-Lauterburg. Laut seinen Worten war die Folge von Marignano eine andere: Der Friedensvertrag von 1516 sicherte den Eidgenossen die Herrschaft über das heutige Tessin endgültig zu. «Dass mein Kanton Untertanenland der Eidgenossen blieb, ist gut so», erklärte der Tessiner Regierungspräsident Norman Gobbi (Lega) – er war einer der geladenen Gäste – auf Anfrage lachend. Für ihn gab Marignano den ersten Anstoss zur bewaffneten Neutralität der Schweiz.
von Peter Jankovsky, San Giuliano Milanese13.9.2015