Erlebnisse im Gotthardfels

Erlebnisse im Gotthardfels

Der Urberg der Schweiz füllt sich mit neuem Leben. Die Festung Sasso San Gottardo öffnet am Samstag ihre Pforten: Eine Grossausstellung thematisiert die Lebensgrundlagen des Menschen und stellt einen wichtigen Schritt in der Aufwertung der Region dar.

Während der Hundstage haben etliche Ausflügler auf dem Gotthardpass die grosse Abkühlung gesucht. Doch sie wurden enttäuscht: Zeitweise erreichten die Temperaturen auch auf 2000 Metern Höhe die 25-Grad-Marke. Der Mythos von der beständigen Kühle geriet dieser Tage ins Wanken, und so scheint es auch dem «Mythos Gotthard» zu gehen. An sich ist der Gotthard in den Augen vieler immer noch «der Mutterberg, der am besten unser Land symbolisiert und dessen gefühlsmässiger Mittelpunkt ist», wie es der im südlichen Gotthardgebiet aufgewachsene Tessiner Lega-Staatsrat Norman Gobbi formuliert. Auch Nationalratspräsident Hansjörg Walter (svp.) hat recht, wenn er den Gotthard als den Ursprung der Schweiz sowie der vier grossen Landesflüsse bezeichnet und ihm viel Geschichtliches zuspricht. Allerdings ist Geschichte mit Vergangenheit verknüpft, und diese verblasst schnell.

«Der Gotthard reduziert sich für mich nicht auf seine Geschichte, sondern ist ein Ort der Zukunft», sagt Martin Immenhauser, Präsident der Stiftung Sasso San Gottardo. Er war der letzte Kommandant der Festung auf dem Gotthard, des Artilleriewerks Sasso da Pigna aus der Zeit des Reduits. Um zu verhindern, dass die Anlage mit ihrem einmaligen Netz an Kavernen und Stollen im Zuge der geplanten Stilllegung zu einem weiteren gesichtslosen Festungsmuseum gemacht würde, formierte Immenhauser mit dem letzten Kommandanten der Gotthard-Brigade, Alfred Markwalder, und dem Luzerner Künstler Jean Odermatt 1999 ein Team. Dessen Ziel war es, die Festung für eine Neuentdeckung der Region zu nutzen. Und was liegt näher, als in den Kavernen eine für den Gotthard typische Themenwelt zu realisieren: Wasser, Wetter und Klima, Mobilität, Energie und Sicherheit. 2004 wurde dazu die Stiftung Sasso San Gottardo gegründet, zwei Jahre später begann der Umbau.

Themenschau und Festung

Nun folgt am Samstag die feierliche Eröffnung der Themenwelt, zu welcher die Politiker Walter und Gobbi als Gastredner geladen sind. Mit diesem Akt wird die ehemalige Festung – für den Nationalratspräsidenten Walter ein Symbol des Widerstands und der Selbstbestimmung – erstmals öffentlich zugänglich. Sie trägt jetzt den Namen Sasso San Gottardo und liegt auf der Passhöhe, fünf Gehminuten vom Hospiz entfernt. In den unteren grossen Räumen befindet sich die Themenwelt, welche die Herausforderungen im Umgang des Menschen mit seinen Lebensgrundlagen und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt. Die Installationen sind geprägt von hoher künstlerischer Ästhetik, aber auch von plastischer Erlebnishaftigkeit. Man überblickt zum Beispiel das Quellgebiet der vier Gotthardflüsse Rhein, Rhone, Reuss und Tessin oder watet in Gummistiefeln durch flaches Wasser und geniesst Computer- und Klanginstallationen, die Blitz und Donner erzeugen. Doch es ist nicht nur Show: Wissenschafter hätten der Themenwelt ihre Forschungserkenntnisse zur Verfügung gestellt, betont Kuratorin Lisa Humbert-Droz.

Die oberen Räume des Sasso San Gottardo präsentieren sich als reale Festungswelt – so als ob man gleich Soldaten begegnen würde. Zu den militärischen Räumen gelangt man zu Fuss über 478 Stufen hinauf oder benutzt den neu installierten Schräglift. Nicht zu vergessen ist schliesslich, dass der Urberg der Schweiz auch Preziosen hervorgebracht hat: Den einzigartigen Riesenkristallen des Planggenstocks ist ein eigener Raum gewidmet. Bei der Themenwelt Sasso San Gottardo handelt es sich um eine Dauerausstellung, die an sieben Tagen pro Woche zugänglich ist, solange der Pass geöffnet bleibt. Die Kosten belaufen sich auf 13 Millionen Franken, wovon Bund und Gotthard-Kantone ein Drittel, private Sponsoren den Rest beigesteuert haben.

Grosses Potenzial

Die Themenwelt im Urberg der Schweiz stellt einen wichtigen Schritt zur Aufwertung des Gotthardgebiets dar. Man sei stolz, das erste Teilprojekt der vier Gotthardkantone zu sein, das im Rahmen der Neuen Regionalpolitik realisiert werde, sagt Stiftungspräsident Immenhauser. Gemäss seinen Worten soll sich der Gotthard vom Durchgangsort zur Destination entwickeln, denn das touristische Potenzial ist hoch. Erst recht während einer Hitzewelle.

www.sasso-sangottardo.ch

VERNETZUNG ZU EINEM WIRTSCHAFTSRAUM

pja. · Die neu eingerichtete Grossausstellung in der Gotthardfestung ist Teil des Gemeinschaftsprojekts Progetto San Gottardo. Seit fünf Jahren bemühen sich die Kantone Uri, Tessin, Wallis und Graubünden im Rahmen der Neuen Regionalpolitik darum, dass sich die schwächelnde Gotthardregion zu einem zusammenhängenden Lebens- und Wirtschaftsraum entwickelt. Eigentliches Ziel ist, das Gebiet unter der Marke «San Gottardo» zu einem besonderen Schweizer Tourismusgebiet aufzuwerten. Hierbei spielt das zweite bisher gestartete Teilprojekt, das Andermatter Grossresort des Ägypters Samih Sawiris, eine wichtige Rolle, weil damit eine Erweiterung und Vernetzung von Skigebieten zwischen Andermatt und Sedrun in Zusammenhang steht.

Letzten September zog die Konferenz der vier Gotthardkantone eine kritische Bilanz: Die Region weise zu viele Strukturen auf, die Zusammenarbeit erweise sich als kaum ausreichend, und dem Projekt San Gottardo sei es bisher zu wenig gelungen, die Gemeinden einzubeziehen. Daraufhin beschlossen die Kantonsregierungen, das Gemeinschaftsprojekt in ein Programm zu überführen, das seinen Zeithorizont vorerst bis 2020 ausdehnt und mit mehr Mitteln und Mitarbeitern ausgestattet wird.

Der Stiftungspräsident des Teilprojekts Sasso San Gottardo, Martin Immenhauser, gibt sich zuversichtlich: Die Organisation von Programma San Gottardo 2020 sei schlagkräftiger geworden und ermögliche nun den Aufbau «raumübergreifender Marketingprojekte». Dem Tessiner Staatsrat Norman Gobbi wiederum liegt viel daran, dass die Abwanderung im Gotthardgebiet gestoppt wird. Der in der oberen Leventina beheimatete Lega-Politiker fordert hinsichtlich der Regionalpolitik einen qualitativen Sprung, wie er im Rahmen des Progetto San Gottardo vollzogen wurde. Laut seinen Worten haben die Kantone Uri und Graubünden die Gelegenheit bestens genutzt, die betreffenden Gebiete bei der Entwicklung von Projekten zu unterstützen, während die zuständigen Tessiner Ämter im Rückstand sind. Gobbi appelliert an alle Gotthardkantone, den Zug nicht zu verpassen und sich zu vernetzen. Denn zu lange hätten sich die vier Kantone auf sich selbst statt aufs «Herz unseres Landes» konzentriert – den Gotthard.

Peter Jankovsky, Gotthardpass NZZ 24.08.2012

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