«Eine Blamage für den Bundesrat»

«Eine Blamage für den Bundesrat»

Bewegung im Steuerstreit mit Italien: Was der Landesregierung nicht gelingt, schafft die Tessiner Kantonsregierung in wenigen Tagen. Mit der Blockierung von 30 Millionen Franken.

Die Schweiz will einen neuen Anlauf nehmen für ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Italien. Die Verhandlungen für ein solches Abkommen seien 2009 plötzlich sistiert worden, sagte gestern Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf vor den Medien in Bern. Der Grund: Italien führt die Schweiz als Steueroase auf einer schwarzen Liste. Das hat inzwischen für Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen nach Italien Folgen, hat doch die italienische Regierung vor rund einem Jahr die bürokratischen Hürden für Wirtschaftsbeziehungen mit Ländern auf dieser Liste massiv erhöht.

Besonders der Kanton Tessin ist davon betroffen, Politiker aus der Südschweiz wie FDP-Nationalrat Ignazio Cassis bombardieren seither die Regierung mit Anfragen. Und: Der Bundesrat verfolge die Situation genau und führe eine diplomatische Offensive, bekamen die Tessiner regelmässig zur Antwort. «Diese Offensive hat den italienischen Finanzminister Giulio Tremonti aber offenbar kaum beeindruckt», sagt Cassis. Jedenfalls kamen die Gespräche über ein DBA trotz Besuchen von Leuthard (2010) und Calmy-Rey (2011) bei Premierminister Silvio Berlusconi nicht wieder in Gang.

Berlusconi? Tremonti ist die Schlüsselfigur

Das könnte sich nun ändern – aber nicht unbedingt, weil Berlusconi beim Besuch von Calmy-Rey im Juni Gesprächsbereitschaft signalisierte. Denn die Schlüsselfigur in diesem Steuerstreit ist nicht der politisch angeschlagene Berlusconi, sondern Finanzminister Giulio Tremonti. Von ihm sagt man, er sei der starke Mann in der Regierung Berlusconi und werde der nächste Premierminister Italiens. Tremonti stemmte sich bisher erfolgreich gegen Neuverhandlungen mit der Schweiz in Steuerfragen. Denn Tremonti wolle, dass die Schweiz den automatischen Informationsaustausch im Steuerbereich übernimmt, erklärte Calmy-Rey in einem Interview. Das komme jedoch nicht infrage.

Hoffnung schöpfen die Tessiner in erster Linie wegen eines Husarenstreichs ihrer Kantonsregierung. So verkündete der Tessiner Staatsrat vor einigen Tagen, dass man die Quellensteuer, die man bei italienischen Grenzgängern einzieht, nicht mehr vollständig an Italien überweisen wolle. Gegen 30 Millionen Franken, also knapp die Hälfte der Gelder, sind auf einem Konto der Tessiner Kantonalbank blockiert. Das ist zwar nicht ganz legal, aber offenbar wirksam. Es bringt nämlich eine ganze Reihe italienischer Grenzgemeinden ins Schleudern, weil sie auf diese Gelder angewiesen sind. Und das wiederum erhöht den Druck auf die Politiker aus Norditalien.

«Das sollte in Bern zu denken geben»

Besonders die Vertreter der Lega Nord wie Parteichef Umberto Bossi und Innenminister Roberto Maroni sind besorgt über die Entwicklung und fürchten elektorale Rückschläge bei ihren Stammwählern im Grenzgebiet. Staatsrat Norman Gobbi traf das Duo vergangenen Montag in Varese. «Die beiden haben mir ihre Unterstützung zugesichert», sagt Gobbi. Der frischgebackene Tessiner Staatsrat der Tessiner Lega ist felsenfest davon überzeugt, dass Bossi und Maroni die Lösung sind.

Das glaubt auch der Freisinnige Cassis. «Und das ist ein bisschen eine Blamage für den Schweizer Bundesrat», sagt er. «Dass sich ein Tessiner Staatsrat mit italienischen Spitzenpolitikern an den Tisch setzt, um über den Steuerstreit zu diskutieren, sollte in Bern zu denken geben. Das wäre doch eigentlich die Rolle des Bundesrates.» Wenn man mit Italien verhandle, könne man sich nicht nur ans diplomatische Protokoll klammern. Man müsse zuweilen auch pragmatischer vorgehen.

Noch sitzen die Italiener aber nicht am Verhandlungstisch. Und was die Tessiner Aktion tatsächlich bringt, muss sich erst noch weisen. Denn: Warum sollte Finanzminister Tremonti auf Bossi und Maroni hören, wenn ihn laut Beobachtern nicht einmal Berlusconi beeindrucken kann? «Weil Tremonti die Unterstützung von Bossi braucht, wenn er Premierminister werden will», sagt Gobbi.

Von Hubert Mooser . Aktualisiert am 07.07.2011

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