Kopf des Tages
Keine Frage. Norman Gobbi ist anpassungsfähig. Als er am Montagabend nach Varese fuhr, um zwei italienische Minister für ein Gespräch zum Quellensteuerstreit zu treffen, stieg er in Bellinzona mit Anzug und Krawatte in den Dienstwagen. Beim Foto mit Umberto Bossi und Roberto Maroni, den beiden Schwergewichten der Lega Nord, hatte Gobbi keine Krawatte mehr an – genauso wie seine Gesprächspartner. Reiner Zufall? Man muss es bezweifeln.
Eine treibende Kraft
Mit Gobbi, der an der Uni Lugano Kommunikationswissenschaften studiert hat und ein PR-Büro unterhielt, hat das Tessin im April einen zweiten Mann der Lega dei Ticinesi in die Regierung gewählt und die regionale Bewegung damit zur Partei der relativen Mehrheit gemacht. Mit 61 712 Stimmen war Gobbi Wählerliebling Nummer zwei nach seinem Parteikollegen Marco Borradori, der indes schon 16 Jahre in der Regierung sitzt. Ein beachtliches Ergebnis.
Knapp 100 Tage ist Gobbi nun im Amt. Und in der Rolle als Staatsmann und Vorsteher des kantonalen Justiz- und Innenministers scheint er sich absolut wohl zu fühlen. Beim umstrittenen Entscheid, einen Teil der Grenzgängersteuern einzufrieren, war er fraglos eine treibende Kraft. Lega-Boss Giuliano Bignasca hat den erst 34-Jährigen aus Quinto in der Leventina seit Jahren gefördert. Gobbi denkt politisch wie der Chef und versprüht neben einer natürlichen Sympathie auch jugendlichen Elan, obwohl er gesetzt wirkt. Er steht klar rechts, kann mit seinen politischen Gegnern aber diskutieren, ohne ausfällig zu werden. Tessiner Dialekt und Schweizerdeutsch gibt er in seinem Facebook-Profil mit 3939 Freunden als erste Sprachen an. Für die personell dünn bestückte Lega dei Ticinesi ist Gobbi ein Glücksfall. Aus diesem Grund konnte er bei der Lega wohl auch rasch Karriere machen. 1996, im Alter von nur 19 Jahren, wird er für die Lega in den Gemeinderat von Quinto gewählt, 1999 schafft er den Sprung in den Grossen Rat, 2008 nimmt er Einsitz in die Exekutive seiner Wohngemeinde und bekleidet im gleichen Jahr bereits das Amt des Grossratspräsidenten. 2010 rückt er auf den zurückgetretenen Attilio Bignasca in den Nationalrat nach. Der Zeitpunkt der Stafette im Jahr vor den nationalen Wahlen war taktisch klug überlegt.
Der Ambri-Fan
Der Grosse Rat zeitigt auch privat Folgen. Dort lernt er seine Frau Elena kennen, welche die kleine Bar neben dem Plenumssaal bewirtschaftet, die Gobbi gerne aufsucht. Gehören doch Essen und Trinken zu seinen Leidenschaften. An seiner Leibesfülle kann man es ablesen. Dazu steht er – mit einer Prise Selbstironie. Da seine Grosseltern väterlicherseits ein Restaurant und eine Bäckerei unterhielten, sei er wohl erblich vorbelastet.
Seit gut sechs Monaten ist er Vater der kleinen Gaia. Auf seiner Homepage lässt er Interessierte an seinem Glück teilhaben. Allerdings gibt es in der Karriere von Gobbi auch schwarze Flecken. Unschön sind etwa die Rassismusvorwürfe, denen er Ende 2007 ausgesetzt war. Als eingefleischter Ambri-Fan und Verwaltungsratsmitglied des Clubs soll er den dunkelhäutigen Spieler des HC Lugano, Anson Carter, bei einem Penaltyschiessen wüst beschimpft haben. Die Schwere des Vorfalls wurde nie restlos aufgeklärt, aber Gobbi hat sich entschuldigt. Das muss man ihm zugute halten. (lo)
http://www.tagblatt.ch/nachrichten/politik/schweiz/tb-in/art120101,2595670
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