Da Luzerner Zeitung | Norman Gobbi von der Lega ist das Aushängeschild der Rechts-Nationalen im Tessin. Doch die Affäre im Migrationsamt setzt dem ehemaligen SVP-Bundesratskandidaten zu.
Die Frage des Fernsehjournalisten kam direkt und unverblümt: «Haben Sie über einen Rücktritt nachgedacht?» Norman Gobbi, bald 40 Jahre alt, verneinte natürlich, schien aber doch verunsichert. Die Affäre um gefälschte Aufenthaltsbewilligungen, die seit zehn Tagen das Tessin und insbesondere das von ihm geführte Innen- und Justizdepartement erschüttert, hat ganz offensichtlich Spuren hinterlassen.
Gegen elf Personen wird ermittelt, darunter drei Kantonsangestellte sowie eine ehemalige Angestellte des Migrationsamtes. Was anfänglich wie die Verfehlung einzelner Personen erschien, hat sich zu einer politischen Affäre entwickelt, in deren politischem Mittelpunkt just Gobbi steht. Der schwergewichtige Regierungsrat, der gerne mit seiner Leibesfülle kokettiert, scheint ins Wanken geraten zu sein. Wichtige Fragen stehen im Raum: Wie konnte es zu einem solchen Schlendrian im Migrationsamt kommen? Hat der Chef sein Departement im Griff?
Bei der Lega nennen sie ihn «Supernorman»
Es ist die erste veritable Krise in einer Karriere, die bis anhin nur eine Richtung kannte: nach oben. Gobbi wurde bereits im Alter von 22 Jahren in den Grossen Rat gewählt. Er war fasziniert von Giuliano Bignasca, dem legendären und mittlerweile verstorbenen Gründer der Lega. Und dieser erkannte umgekehrt das politische Talent des jungen Mannes aus der Leventina und förderte ihn gezielt. 2010 rückte Gobbi als erklärter EU-Gegner im Nationalrat für den zurückgetretenen Attilio Bignasca nach. Und bei den Kantonswahlen 2011 gelang ihm der Sprung in den Staatsrat – eine Sensation. Im November 2015 schaffte es «Supernorman», wie er bei der Lega genannt wird, zu nationaler Bekanntheit: Die SVP nominierte ihn als offiziellen Bundesratskandidaten auf einem Dreier-Ticket.
Bei der Wahl kam Gobbi nicht sehr weit. Doch er blieb für die Medien ein beliebter Ansprechpartner, denn einige nationale Kernthemen fallen genau in seinen Kompetenzbereich als Polizei- und Justizdirektor des Tessins. Egal ob Flüchtlinge, Migranten, Ausländer, Kriminalität oder Aufenthaltsbewilligungen für Grenzgänger: Gobbi wirkt an vielen aktuellen Brennpunkten; und er sorgt mit manchen Forderungen, etwa dem Schliessen der Grenzen oder dem Einsatz von Militär, für knackige Schlagzeilen. Gobbi ist selbstbewusst und eloquent, und er versteht es, direkt zu kommunizieren. Er ist Staatsmann und Kumpel zugleich. Der zweifache Familienvater ist zum Tessiner Gesicht des rechts-nationalen Denkens geworden. Er mag Donald Trump, lobt dessen Entscheidungsfreude. In Flüchtlings- und Ausländerfragen vertritt er eine harte Linie. Dabei scheut er auch den Konflikt mit Italien und Bundesbern nicht. Dies zeigt die von ihm eingeführte Pflicht zur Vorlage eines Strafregisterauszugs bei der Erteilung von Aufenthalts- und Grenzgängerbewilligungen. «Er mischt sich gerne in die Zuständigkeiten des Bundes ein», kritisiert der ehemalige Staatsanwalt Paolo Bernasconi, einer der erbittertsten Gegner Gobbis. Als kürzlich nach einem Raubüberfall im Malcantone die Grenzübergänge zu Italien geschlossen wurden, hagelte es Proteste aus den italienischen Grenzregionen, weil Tausende von Grenzgängern nicht nach Hause konnten und somit kollektiv «als Geiseln» genommen wurden. Gobbi tat die Kritik mit Verweis auf Sicherheitsaspekte ab. Pikant war aber vor allem seine zusätzliche Bemerkung, wonach die Tessiner wegen der Grenzgänger täglich stundenlang im Stau stünden. Gobbi bewirtschaftet mit solchen Aussagen gekonnt den latenten Anti-Italianismus, der im Tessin ständig spürbar ist. Seinen Wählern gefällts.
In der Affäre um die B-Bewilligungen reagierte Gobbi auch nach diesem Muster, als er erklärte, es sei ein Fehler gewesen, «einen Italiener im Migrationsamt anzustellen» – ein Satz, der geharnischte Reaktionen auslöste. Weil die Einstellung dieses – später eingebürgerten – Italieners vor seinem Amtsantritt erfolgte, wurde die Aussage auch als Angriff auf seinen Vorgänger, CVPRegierungsrat Luigi Pedrazzini, interpretiert. Und dies erklärt wiederum, warum die CVP nun besonders hart mit Gobbi ins Gericht geht, ihn auffordert, einen Schritt zurück zu machen.
Affäre ist noch lange nicht ausgestanden
Belastend ist die mutmassliche Korruption im Migrationsamt für Gobbi vor allem, Weil sie just einen Verwaltungsbereich betrifft, der ihm besonders am Herzen liegt: Ausländer und Aufenthaltsbewilligungen. Gemäss einem anonymen Brief, der angeblich von drei Angestellten aus dem Migrationsamt geschrieben wurde und dieser Tage über Tessiner
Medien auftauchte, ist die Misere in diesen Amtsstuben schon lange verbreitet. Man habe dies vor Jahren angeprangert, doch nichts sei geschehen. Damit wurde weiter Öl ins Feuer gegossen. Gobbi entgegnet: «Man will nur eine Schlammschlacht anzetteln.»
Die Affäre ist noch lange nicht ausgestanden. «Gobbi ist ein guter Kommunikator, doch nun kommt bei den Leuten die Frage auf, ob er wirklich in der Lage ist, das Departement zu managen», meint der Politologe Oscar Mazzoleni. Das Vertrauen sei irgendwie angekratzt. Die Tessiner Zeitung «La Regione» veröffentlichte eine Karikatur, in der Gobbi von hinten wie ein schmollendes Kind zu sehen ist. Und da sagt er: «Uff, alle sind gegen mich; wenn ich nur denke, dass sie mich im Bundesrat haben wollten!»