Italiener dürfen nur noch zur Arbeit ins Tessin kommen

Italiener dürfen nur noch zur Arbeit ins Tessin kommen

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Die Reisesperre für Teile Norditaliens versetzt den Kanton Tessin in Aufruhr. Grenzgänger dürfen weiterhin zur Arbeit pendeln.

Es war ein turbulenter Sonntag für das Tessin. Am Morgen bat der kantonale Führungsstab den Staatsrat um eine ausserordentliche Sitzung.
Der Führungsstab – ein Verbund aus Polizei, Feuerwehr, Rettung und Zivilschutz –wird aktiv, wenn es schwierig wird.
In Notlagen oder bei einem bewaffneten Konflikt.
Nach einer Notlage hat es am Sonntagmorgen tatsächlich ausgesehen. Über Nacht hatte die italienische Regierung eine Reisesperre für die Bewohner der Lombardei und der benachbarten Gebiete verhängt. 16 Millionen Menschen sollen bleiben, wo sie sind. Das öffentliche Leben steht still. Was bedeutet das für die Schweiz, insbesondere für den Kanton Tessin, wo rund 30 Prozent der Arbeitnehmer aus Italien in die Schweiz pendeln? Rund 68’000 Grenzgänger zählt der Kanton, davon arbeiten über 4000 im Gesundheitswesen, das bei einer Grenzschliessung zusammenbrechen würde.

Stündlich neue Meldungen
Doch so weit kommt es derzeit nicht. Als der Staatsrat sich am Sonntag um 15 Uhr im Palazzo delle Orsoline in Bellinzona zur kurzfristig anberaumten Sitzung einfand, gab es praktisch jede Stunde neue Nachrichten zur Situation. Zweieinviertel Stunden tagte der Staatsrat und telefonierte dabei mit Alain Berset und Ignazio Cassis, mit den für Gesundheit und Aussenpolitik zuständigen Bundesräten.
Mitten in der Sitzung habe man die Information erhalten, dass die italienischen Behörden das Arbeitspendeln weiterhin erlaubten, sagt Lega-Staatsrat und Sicherheitsvorsteher Norman Gobbi. Noch in der Nacht erweckte die italienische Regierung den Eindruck, die norditalienischen Gebiete komplett abriegeln zu wollen. Am Sonntagmorgen schlossen die italienischen Zollbeamten Grenzübergänge zwischen Tessin und Lombardei. Wenig später waren sie wieder offen.
Im Gespräch mit den Bundesräten einigte sich der Tessiner Staatsrat auf folgendes Vorgehen: Die Grenze zu Italien bleibt offen. Der Personenverkehr wird jedoch kontrolliert. Italien kontrolliert die Aussengrenzen des Sperrgebiets, und die Schweiz überprüft die Einreisenden auf Schweizer Seite. Das haben Ignazio Cassis und sein italienischer Amtskollege Luigi Di Maio am Sonntag während mehrerer Telefongespräche beschlossen.
Wer also in den nächsten Tagen aus Italien in die Schweiz fährt, muss an der Grenze beweisen, dass er zur Arbeit fährt – mit einem Ausländerausweis G oder einer anderweitigen Bescheinigung. Das teilte gestern auch der Bundesrat in einem Communiqué mit. Er sprach von einem gemeinsamen «Monitoring», dessen Eckwerte in den kommenden Tagen definiert würden.
Die Tessiner Kantonspolizei werde sich allerdings schon ab Montag in Grenznähe positionieren und die Einreisenden kontrollieren, sagt Norman Gobbi. Wenn jemand bloss einkaufen will, wird er wieder zurückgeschickt. «Oder noch schlimmer: Wenn jemand in die Schweiz fährt, um sich im Spital behandeln zu lassen.»
Der Staatsrat habe diverse Massnahmen geprüft, sagt Gobbi, darunter auch die Schliessung der Schulen. Vorläufig verzichtet der Kanton Tessin darauf.
Es gehe auch darum, Entscheide zu begründen, sagt Norman Gobbi. Etwa die Frage, warum die Schweiz ihre Grenzen nicht schliesst. Solche Fragen kämen auf, wenn Italien ganze Gebiete zur Sperrzone erkläre.
Die Arbeitgeber im Tessin atmeten gestern Nachmittag auf. Noch morgens um 7 Uhr hielt CVP-Nationalrat Fabio Regazzi mit dem Direktor seiner Firma eine Krisensitzung ab. Regazzi betreibt in der Magadinoebene eine Metallbaufirma mit 135 Mitarbeitenden, etwa 55 davon sind italienische Grenzgänger. Und die Grenzgänger seien in der Regel nicht diejenigen, die Homeoffice machen könnten, sagt Regazzi. Sie arbeiten in der Produktionshalle und auf den Baustellen. Die Büroarbeit wird von Schweizern gemacht. Dennoch prüften Regazzi und sein Team Möglichkeiten wie Homeoffice. Komplikationen seien vorprogrammiert, sagt er.
Andere Unternehmer haben für ihre italienischen Mitarbeiter mit wichtigen Funktionen vorsorglich Hotelzimmer reserviert.

In der Krise vereint
Es sei richtig, den Pendlerverkehr auf ein Minimum zu beschränken, sagt SVP-Ständerat Marco Chiesa. «Man muss sorgfältig abwägen zwischen wirtschafts- und gesundheitspolitischen Interessen.» Massnahmen wie eine Grenzschliessung oder Fieberkontrollen bei der Einreise sollen kein Tabu sein. Sicher müsse man Möglichkeiten wie Homeoffice ausschöpfen und unterscheiden zwischen strategisch wichtigen Jobs und anderen, sagt Chiesa.
Mit seiner Ständeratskollegin Marina Carobbio (SP) stand Chiesa am Sonntag für die Mittags-«Tagesschau» im RSI-Studio. Und gemeinsam werden sie Anfang Woche auch in Bern Politik machen: Sie wollen mit dem Aussen- und dem Innendepartement Kontakt aufnehmen. Es gelte, mehrere Fragen zu klären, sagt Carobbio, die im Misox als Ärztin praktiziert. So brauche es im Tessin Reservegesundheitspersonal für den Fall, dass die Infektionen stark zunähmen.
Auch wollen Chiesa und Carobbio, dass der Bund den Tessiner Unternehmen durch diese schwierige Phase hilft. Carobbio sagt: «Es ist klar: Die Löhne müssen trotzdem bezahlt werden, auch wenn die Mitarbeiter teilweise zu Hause bleiben.»