Da NZZ.CH l 25 Jahre Lega dei Ticinesi. Als Protestbewegung wurde die Lega gegründet. Nun haben die Rechtspopulisten derart an Exekutivmacht gewonnen, dass bei der SVP Fusionsgelüste aufkeimen. Besser sollte sich die Lega der FDP annähern.
Eine Protestbewegung – das hatte der ehemalige Freisinnige Giuliano Bignasca im Sinn, als er vor einem Vierteljahrhundert die Lega dei Ticinesi gründete. Dieser gelang es, den Südkanton politisch umzupflügen und zwei Sitze im fünfköpfigen Staatsrat sowie Luganos Stadtpräsidentenamt zu ergattern. Doch die markante Zunahme der Exekutivverantwortung verstärkt den Mentalitätswandel in den Reihen der oft rüde Töne anschlagenden Rechtspopulisten. Ihr pragmatisch denkender Staatsrat Claudio Zali hat kürzlich im Lega-Sonntagsblatt «Il Mattino» erklärt, die «Bewegung» habe sich deswegen und aufgrund des Hinschieds der alten Garde gewandelt. Allerdings hätten die Parteiexponenten mit Regierungsverantwortung bewiesen, dass sie nicht wider den Geist der Lega agierten. Dies zeigt Zalis Partei- und Regierungskollege deutlich: Ex-Bundesratskandidat Norman Gobbi tritt als veritabler Staatsmann auf und schafft es gleichzeitig, Bern hart zu kritisieren sowie ab und an von offiziellen Staatsrats-Positionen abzuweichen. Seine Aufmüpfigkeit ist salonfähig, weil er punkto Institutionen und Personen korrekt bleibt. Der seriöse Flügel der Rechtspopulisten trägt dazu bei, dass Bern das Tessin ernster nimmt.
Die Lega-Magistraten prägen die einstige Protestbewegung immer stärker. Gleichzeitig versucht Attilio Bignasca, Bruder des verstorbenen Giuliano, als Lega-Koordinator dem rebellischen und sozial stark engagierten Flügel genügend Freiraum zu gewähren; der Erfolg nimmt sich bis anhin sehr mässig aus. Bignasca befürchtet vermutlich, eines Tages könnte die Lega vor einer Zerreissprobe stehen. Doch Gefahr droht von eher unerwarteter Seite: Um für den Bundesrat kandidieren zu können, musste Gobbi der SVP Schweiz beitreten. Dies bringt mit neuer Eindringlichkeit die Frage aufs Tapet, ob die beiden Rechtsparteien fusionieren werden. Zumal sie bei Kantonal- wie auch Nationalratswahlen auf dringlichen Wunsch des SVP-Präsidenten Schweiz, Toni Brunner, Schulterschlüsse vollzogen haben. Dies, obwohl die Tessiner Sektion der Volkspartei und die Lega in einer intensiven Hassliebe zueinander verharren. Würde eine Fusion vollzogen, so endete die Ära der – in zwiespältigem Sinne – einzigartigen Lega. Damit wären die bisherigen Wählerstimmen alles andere als gesichert.
Vernünftiger wäre, sich gegenüber der nach wie vor wichtigen FDP zu öffnen. Der Freisinn hat die viel grössere politische Erfahrung, war er doch Garant der Tessiner Prosperität. Er könnte das einstige Enfant terrible Lega durch dessen Reifeprüfung begleiten und seinen Einfluss zugunsten aller Tessiner geltend machen. Auf lokaler Ebene funktionierte dies schon einmal: Die Freundschaft zwischen dem einstigen Luganer Exekutivmitglied Giuliano Bignasca und dem von 1984 bis 2013 regierenden FDP-Sindaco der grössten Tessiner Stadt, Giorgio Giudici, sorgte für ein produktives Gleichgewicht. Dieses Experiment liesse sich auf kantonaler Ebene wiederholen. Es könnte umso eher gelingen, als die Rechtspopulisten zu sehr Gefallen an ihrer Machtfülle in wichtigen Exekutiven gefunden haben, um diese rebellischer Anwandlungen wegen gefährden zu wollen. Die Tessiner Protestbewegung steht am Scheideweg.
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