Die Zuwanderungsinitiative hat im Tessin die höchste Zustimmung erhalten. Die Kantonsregierung fühlt sich von Bern nicht ernst genommen.
Das deutliche Abstimmungsresultat weise auf soziale Probleme im Kanton hin, sagt die Tessiner Regierung: Das Wahllokal im Dorf Bedretto (TI) am Abstimmungssonntag.
Das deutliche Ja des Tessins zur SVP-Initiative sei auch eine Antwort darauf, dass der Südkanton in der Vergangenheit mit seinen Problemen nicht ernst genug genommen wurde, sagten am Montag Mitglieder der Tessiner Regierung.
Staatsratspräsident Paolo Beltraminelli (CVP) stimmte eigenen Angaben zufolge mit «Nein». Dennoch bemühte er sich im Gespräch, die Haltung der Tessiner zu erläutern. «Es hat nichts mit Pro oder Contra gegenüber Ausländern zu tun», sagte Beltraminelli. Das Abstimmungsergebnis weise auf soziale Probleme hin. Das wirtschaftliche Wachstum im Tessin mache Angst. Es sei verbunden mit den steigenden Zahlen der Grenzgänger, die inzwischen gut ausgebildet in allen Wirtschaftsbranchen tätig seien. Die Konkurrenz wachse. Der Druck verstärke sich durch das niedrige Lohnniveau in Italien. Gleichzeitig wachse der Autoverkehr, der Kanton verändere sich.
«Die Zeichen von uns an Bern waren deutlich», ergänzte Beltraminelli. Mit diversen Bundesräten hätten sie sich getroffen, die Probleme dargelegt. «Doch es schien, als ob das Tessin einfach als Ausnahmefall gewertet würde.» Dabei habe sich schon öfters gezeigt, dass der Kanton in der Schweiz wie eine Art «Labor» wirke, «in dem sich Entwicklungen als erstes bemerkbar machen».
«Tessin braucht speziellen Schutz»
Auch Lega-Staatsrat Norman Gobbi spricht von fehlendem Verständnis für das Tessin. «Die Regierung in Bern hat sich unsere Probleme zwar immer angehört. Aber nicht wirklich nachvollziehen können.» Nun habe das Tessin mit seinem deutlichen Votum zum Ausgang der Abstimmung und einer migrationspolitischen Kehrtwende beigetragen.
Bern lerne daraus, dass beim Thema Personenfreizügigkeit nicht in allen Regionen dieselben flankierenden Massnahmen greifen. Das Tessin mit seiner Grenze zum wirtschaftlich angeschlagenen Italien müsse anders geschützt werden als Kantone im Norden. «Kontingente bei den ausländischen Arbeitern wären schon immer die beste Lösung gewesen», sagte Gobbi.
Unternehmer besorgt
Während die Befürworter der Initiative nach dem Wahlausgang von einem historischen «Triumph» (Lega dei Ticinesi) oder einem Sieg (Grüne) sprachen, sind die Reaktionen ansonsten verhalten. Besorgnis herrscht gemäss dem Direktor der Tessiner Handelskammer, Luca Albertoni, bei den Unternehmern im Kanton. Sie belaste vor allem die Unsicherheit über die Umsetzung der Initiative, sagte er.
In verschiedenen Tessiner und italienischen Medien kamen am Montag auch die Grenzgänger zu Wort. Bei einer Umfrage des italienischen Nachrichtenportals tg1 (RAI) an der Grenze Ponte Tresa TI reichten die Aussagen von «Die Schweizer haben das Recht zu entscheiden.», über «Wir können froh sein, die Schweiz als Arbeitgeber zu haben» bis «Ich habe keine Ahnung, was nun auf mich zukommt.» (ldc/sda)
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/Der-Bundesrat-hat-die-Warnungen-aus-dem-Tessin-ignoriert/story/25893384